Seit einiger Zeit diskutieren wir in Deutschland und im Europäischen Parlament darüber, dass wir Anträge nur noch einbringen dürfen, wenn es den Grünen und der SPD beliebt. Die Debatte offenbart ein eigenartiges Demokratieverständnis, und in Deutschland ist sie nun endgültig entgleist.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte einen Gesetzentwurf (sog. Zustrombegrenzungsgesetz) in den Bundestag eingebracht, der im November im Innenausschuss von der alten Ampel-Mehrheit abgelehnt worden ist. Jetzt steht er im Plenum des Bundestages zur Abstimmung. Es geht darin um die Begrenzung illegaler Migration. Nichts daran ist rechtswidrig oder gar extremistisch. Andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union tun das längst, und die deutsche Migrationspolitik ist in Europa seit langem nicht mehr vermittelbar.
Ministerpräsidenten fordern ähnliche Maßnahmen
Was kann falsch daran sein, den Begriff „Begrenzung“ wieder in das deutsche Aufenthaltsgesetz aufzunehmen? Was ist falsch daran, den Familiennachzug zu begrenzen für diejenigen, die kein dauerhaftes Bleiberecht haben? Was ist falsch daran, der Bundespolizei Kompetenzen zu geben, um bei Rückführungen zu helfen?
Nichts ist falsch daran. Das ist auch der Grund, warum die Ministerpräsidentenkonferenz, also auch die Ministerpräsidenten der SPD und der Grünen, im Oktober die beiden zentralen Inhalte des Gesetzes so oder so ähnlich gefordert hat.
Offensichtlich NICHT verfassungswidrig
Weil es an Argumenten in der Sache fehlt, wird jetzt zum Rundumschlag ausgeholt und behauptet, die Vorschläge verstießen gegen die Verfassung. Das ist ganz offensichtlich nicht der Fall: Nach Artikel 16a des Grundgesetzes genießen politisch Verfolgte das Recht auf Asyl. In den zurückliegenden Jahren erhielten nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge rund 0,7 Prozent der Antragsteller Asyl im Sinne des Grundgesetzes.[1] Denn nach Artikel 16a Abs. 2 Grundgesetz kann sich auf dieses Recht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem sicheren Drittstaat einreist.
Auch nach dem deutschen Aufenthaltsgesetz sind Personen, die ohne gültige Einreisepapiere oder Aufenthaltstitel unerlaubt in das Bundesgebiet einreisen wollen, an der Grenze zurückzuweisen (§ 15 Abs. 1 AufenthG). Für Asylsuchende gelten besondere Regelungen. Allerdings regelt § 18 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG), dass die Einreise auch dann zu verweigern ist, wenn die Person (Nr. 1) aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) einreist. Ausnahmen von der Einreiseverweigerung gemäß § 18 Abs. 2 AsylG enthält wiederum § 18 Abs. 4 AsylG. Von der Einreiseverweigerung oder Zurückschiebung ist im Falle der Einreise aus einem sicheren Drittstaat abzusehen, soweit (Nr. 1) die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der EU oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist.
Im Europarecht regelt die sogenannte Dublin-III-Verordnung, welcher EU-Staat für ein Asylverfahren zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, in den der Migrant zuerst eingereist ist. Unabhängig davon, dass das Dublin-System seit vielen Jahren nicht mehr funktioniert, trifft die Verordnung keine Aussage dazu, ob Zurückweisungen von Asylsuchenden an den Binnengrenzen zulässig sind. Also gilt das nationale Recht, soweit die Bundesrepublik nicht international zu anderem verpflichtet ist.
Nach den internationalen Bestimmungen, also der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 33) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 3), darf niemand in ein Land zurückgewiesen werden, in dem ihm Verfolgung, Folter oder unmenschliche Behandlung drohen (Grundsatz der Nichtzurückweisung). Das ist bei den Nachbarstaaten der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich nicht der Fall.
Grenzkontrollen sind langfristig nicht die Lösung, aber möglich
Von der Frage der Zurückweisungen ist die Frage der Grenzkontrollen zu unterscheiden. Im Schengen-Raum sind Grenzkontrollen grundsätzlich abgeschafft, es sei denn, es gibt außergewöhnliche Umstände, die Grenzkontrollen rechtfertigen. Wenn die Mitgliedstaaten der EU auf der Grundlage von Artikel 72 AEUV nachweisen können, dass die Grenzkontrolle ausnahmsweise erforderlich ist, um die öffentliche Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit zu wahren, sind Grenzkontrollen möglich. Sie werden übrigens derzeit von acht Mitgliedstaaten durchgeführt. Wir sprechen dabei nicht von Grenzschließungen. Mit Technik und einem geschulten Blick der Polizei lassen die Kontrollen den Binnenmarkt unberührt.
Auch wenn Binnengrenzkontrollen langfristig keine Lösung sind – vielmehr sind Abkommen mit Drittstaaten erforderlich –, bleibt die Behauptung der Rechtswidrigkeit falsch.
Fazit
Das Gesetz nur deshalb nicht zur Abstimmung zu stellen, weil die AfD ihm vielleicht zustimmt und Rot-Grün es ablehnt, bedeutet, dass wir uns in Geiselhaft begeben, die Probleme im Land nicht lösen und riskieren, dass der Brand hinter der Mauer zum Flächenbrand wird.
Deshalb ist es richtig, vernünftige Vorschläge zu machen, die am 23. Februar zur Wahl stehen. Genau das hat Friedrich Merz getan. Gleichzeitig hat er mehrfach klargestellt, dass es mit ihm keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird.
Wenn sich die Aufregung nach der Bundestagswahl gelegt hat, werden wir eine Koalition formen, die sich endlich der Lösung der Probleme in diesem Land annimmt, und davon gibt es wahrlich genug.
[1] BAMF-Migrationsbericht 2023, S. 96, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Migrationsberichte/migrationsbericht-2023.pdf?__blob=publicationFile&v=22