Die EU muss Stärke beweisen

Zuerst erschienen in der Fuldaer Zeitung

Die Ausverhandlung des Vertrags über die zukünftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU werden schwierig. Der Europäische Rat hat vor wenigen Tagen die konkreten Ziele aus europäischer Perspektive definiert: keine Zollbelastungen, kontinuierliche Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen und ein faires regulatorisches Spielfeld.

Insbesondere der letzte Punkt findet derzeit auf britischer Seite wenig Zustimmung. Die EU möchte verhindern, dass nach dem Brexit Großbritannien einerseits Zollfreiheit mit der EU in Anspruch nimmt, aber andererseits zulässt, dass sich das Land in ein „Singapur an der Themse“ mit niedrigeren Sozial- und Umweltstandards verwandelt. Damit hätten britische Unternehmen unlautere Wettbewerbsvorteile gegenüber Europäischen. Jeder Vertrag über eine künftige Beziehung bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Für einen Deal, der nicht ein faires Spielfeld für unsere Unternehmen garantiert, wird es keine Mehrheit geben.

Die britische Regierung betont gerne, dass sie sich einen Handelsvertrag nach dem Vorbild des CETA-Abkommens wünscht. Das klingt zunächst erst einmal gut, 99% aller Waren mit Kanada werden zollfrei gehandelt. Doch es ignoriert die Tatsache, dass die Beziehung zu Großbritannien von einer ganz anderen Qualität sind. Es ist das eine, wie bei CETA Handelshemmnisse abzubauen, es ist eine ganz andere Herausforderung künftige Beziehung zu verhandeln, wenn alle diese Barrieren bereits abgebaut wurden.

Der rein wirtschaftliche Blick ignoriert außerdem praktische Fragen, die für Millionen Briten und Europäer von großer Bedeutung sind. Werden europäische Führerscheine und Gesundheitskarten nach wie vor gegenseitig anerkannt? Können Haustiere ohne Quarantäne zwischen der EU und Großbritannien reisen? Wie sieht die gegenseitige Zulassung von Medikamenten aus? Keine dieser Fragen stand bei den Verhandlungen mit Kanada auf der Tagesordnung. Bisher hat die Johnson-Regierung keine konkreten Antworten gegeben, was sie in diesen Bereichen eigentlich möchte. Auch hier gilt von europäischer Seite: so eng wie möglich, aber nicht um jeden Preis.

Die britische Regierung muss entscheiden, ob sie ernsthaft an einem Austrittsabkommen interessiert ist. Sie sollte sich vor Augen führen, dass zwar einerseits 10% des europäischen Handels mit Großbritannien stattfindet, aber andersherum 50% des britischen Handels von der EU abhängt. Man mag hoffen, dass sich in Westminster die Pragmatiker gegenüber den Ideologen durchsetzen mögen, verlassen sollte man sich allerdings darauf nicht. Ein einschneidender No-Deal-Brexit zum 31.12.2020 bleibt daher ein mögliches Szenario. Entsprechend sollten sich hessische Unternehmen auch nach wie vor auf diese Möglichkeit vorbereiten.

Jenseits des Brexits brauchen wir in der EU aber auch eine grundsätzliche Debatte wie wir die Zukunft der Union gestalten wollen. Ich werbe für eine Reform der Institutionen und mehr Effektivität: beim Grenzschutz und der Verteidigung, in der Innovationspolitik und beim Green Deal mit einer Energieunion muss die EU endlich wirksam werden. Ich möchte ein vereintes Europa, dass wieder so attraktiv wird, dass der Brexit nicht nur ein Einzelfall bleibt, sondern vielleicht eines Tages durch einen Wandel in Großbritannien rückgängig gemacht werden kann. Darin liegt ein Auftrag für uns Europäer.