Europa (selbst-)verteidigungsfähig machen

Die beiden vergangenen Jahre haben uns brutal vor Augen geführt: Sicherheit und Frieden in Europa sind keine Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig ist die Handlungsfähigkeit der EU in der Außen- und Sicherheitspolitik heute nach wie vor stark eingeschränkt. Wenn Europa in einer multipolaren Welt eine Rolle spielen will, dann braucht es dafür effektive Entscheidungsstrukturen und ausreichende militärische Fähigkeiten.

Auf der internationalen Bühne müssen wir Europäer mit einer Stimme sprechen und die institutionellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir auf außenpolitische Krisen schnell und effizient reagieren können. Die Verteidigungsfähigkeit Europas muss durch eine effektive Rüstungspolitik zu einer zentralen Aufgabe werden. Es ergibt keinen Sinn, dass die Staaten in Europa sechs Mal so viele Waffensysteme unterhalten wie die USA. Im Ergebnis bekommt der europäische Steuerzahler für mehr Geld weniger Verteidigungsfähigkeit. Man muss sich vor Augen führen, dass die EU-Mitglieder viermal so viel Geld für Rüstung ausgeben wie Russland. Aber wir beschaffen teuer, und unsere Systeme sind nicht aufeinander abgestimmt.

Als Folge davon kaufen die europäischen Staaten 78 Prozent ihrer Rüstungsgüter seit Kriegsbeginn außerhalb der EU, mehrheitlich in den USA. Weniger als 20 Prozent der Investitionen tätigen wir gemeinsam, weit unter dem EU-Ziel von 35 Prozent. Das geht zulasten unserer Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit.

Wir haben in Zeiten des Kalten Krieges eine hochgerüstete Sowjetunion daran hindern können, das NATO-Gebiet anzugreifen. Das Russland unter Putin hat nun wiederholt militärische Angriffe gewagt, weil er davon ausgeht, dass der Westen zu schwach und uneinig ist. Deshalb ist es so wichtig, die militärischen Fähigkeiten Europas auszubauen. Der beste Garant für Frieden in Europa ist unsere gemeinsame militärische Stärke. Dazu zählt auch, dass wir das Angebot des französischen Präsidenten Emmanuel Macron annehmen, in einen Dialog über die Rolle der atomaren Abschreckung einzutreten. Denn bereits im November dieses Jahres könnte die Unterstützung der USA fraglich werden, je nach Ausgang der dortigen Präsidentschaftswahl.

Es ist also ganz offensichtlich, dass wir Europäer mehr tun müssen, um verteidigungsfähig zu werden. Dafür müssen die Staaten Europas gemeinsame Interessen, Ziele und Strategien definieren. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber ausweichen dürfen wir dieser Aufgabe nicht mehr.